Am Rande des Erträglichen

Mit freundlicher Genehmigung des Donaukurier/Hr. Zimmermann:

Neuburg (DK) Vor wenigen Wochen demonstrierten Neuburger Asylbewerber gegen die aus ihrer Sicht untragbaren Zustände in der Gemeinschaftsunterkunft. Ein Bewohner sprach öffentlich vom „schlimmsten Lager Bayerns“. Vergangene Woche drohte ein Nigerianer mit Selbstmord.

Das Leben in der Gemeinschaftsunterkunft (GU) ist alles andere als ein Zuckerschlecken, vor allem für junge Familien. Die Afghanen Jawad Karimi (27), seine Lebensgefährtin Mariam Zienab Kazemi (23) und die gemeinsame zweijährige Tochter Jasmin leben seit zwei Jahren in der Lassigny-Kasserne. Welche Auswirkungen das Lagerleben haben kann, wird in ihrem Fall besonders deutlich. Bei der Mutter wurden schwere Depressionen festgestellt, sie nimmt deshalb starke Medikamente.Noch schlimmer ist es bei der kleinen Jasmin, bei der der Neuburger Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie Peter Titze schwere Verhaltensstörungen festgestellt hat. In einem von ihm formulierten Attest heißt es: „Bei emotionaler Anspannung, was durchschnittlich 20 mal pro Tag passiert, beginnt sie, im Sitzen auf dem Boden stark mit dem Oberkörper zu wippen und mit der Stirn gegen den Boden oder einen anderen harten Gegenstand zu schlagen, manchmal so heftig, dass es zu sichtbaren Verletzungen kommt. Zusätzlich beißt sie sich bei Anspannung in die Haut ihres Armes.“ Außerdem, so die junge Mutter, leidet ihre Tochter an Appetitlosigkeit. „Sie wiegt gerade einmal neun Kilo, das ist für ein zweijähriges Kind sehr wenig“, sagt Mariam Zienab Kazemi. Bisher habe es auch nicht funktioniert, für Jasmin einen Platz in einem Neuburger Kindergarten zu finden.Die Familie wohnt auf ihrer Etage zusammen mit vielen jungen Männern. Es sei dort fast jede Nacht sehr laut, manchmal gebe es auf den Gängen tätliche Auseinandersetzungen. Für die 23-jährige Mutter wird der Gang zur Toilette häufig zum Spießrutenlauf. „Ich bin sehr besorgt um die Zukunft meiner Tochter“, sagt sie. Es gibt in der Neuburger GU zwar auch ein Familienhaus, dort sind die Afghanen aber nicht untergebracht.

Nach Einschätzung von Peter Titze ist es zwingend notwenig, dass die Familie eine Wohnmöglichkeit außerhalb des Lagers erhält. Er empfiehlt eine Verlegung in eine dezentrale Wohnung nach Ingolstadt oder München. „Die momentanen Wohnverhältnisse im überfüllten Lager bezeichne ich als menschenunwürdig und außerdem hygienisch für ein Kleinkind höchst bedenklich“, heißt es in dem Schreiben von Titze weiter. Das Attest lag auch der Regierung von Oberbayern vor, die sieht allerdings bisher keinen Handlungsbedarf und hat den Antrag abgelehnt.

Apropos Hygiene: Jawad Karimi hat vergangenes Jahr Fotos von den Zuständen in der Unterkunft gemacht. Sie zeigen einen völlig vermüllten Waschraum und die stark verschimmelte Wand des Zimmers, in dem die drei Afghanen wohnten, bevor sie einen neuen Raum erhielten. Ihre neue Bleibe ist jetzt sauber, auch das gemeinsame Badezimmer war in der vergangenen Woche nur leicht verdreckt. Schimmel lässt sich beim Kochen ohne Dunstabzug wohl nicht gänzlich verhindern. Anders ist es bei der Praxis mancher Asylbewerber, Müll einfach ins Badezimmer zu schmeißen. Dieser Dreck wäre vermeidbar.

Ist es in Neuburg nun schlimmer als in anderen Unterkünften? Fakt ist, es gibt Leitlinien für Gemeinschaftsunterkünfte in Bayern. Die hat das Sozialministerium 2010 festgelegt. Sie gelten allerdings nicht für ältere Unterkünfte, das teilte die Regierung von Oberbayern schriftlich mit: „Die Leitlinien gelten (…) für die Anmietung oder Errichtung neuer Gemeinschaftsunterkünfte nach dem 01.04. 2010. Bestehende Gemeinschaftsunterkünfte sollen möglichst zeitnah sukzessiv nachgerüstet werden, soweit eine Nachrüstung baulich möglich und haushaltsrechtlich vertretbar ist.“ Für die GU Neuburg, die seit 1975 in Betrieb ist, seien die Leitlinien also nicht unmittelbar anwendbar, sondern werden sukzessive umgesetzt. So wurden laut Regierung seit 2007 die Koch- und Duschplätze aufgestockt und die Belegung reduziert.

Nach den Leitlinien sollten sieben Quadratmeter Wohnraum pro Asylbewerber nicht unterschritten werden. Die Räume für drei- oder vierköpfige Familien, die im Block A der Lassigny-Kaserne untergebracht sind, sind etwa 20 Quadratmeter groß. Bei drei Personen befindet man sich also an der Grenze, bei vier Asylbewerbern in einem Raum wird das Minimum unterschritten. Bei der Größe könne laut Regierung je nach konkreter Situation „auch eine Abweichung nach unten“ nicht ausgeschlossen werden.

Auch bezüglich der sanitären Anlagen gibt es in Neuburg Beschwerden. Mehrere Bewohner berichten übereinstimmend, dass es keine getrennten Toiletten für Männer und Frauen gebe. Hier widerspricht die Regierung deutlich: „Selbstverständlich stehen den Bewohnern Sanitäranlagen getrennt nach Geschlechtern zur Verfügung. Es gibt also ausreichend Toiletten in den Häusern A-D und im Familienhaus (Haus 1). Alle Waschräume in den besagten Häusern sind bis auf die einzeln abschließbaren Duschen in Haus C nach Geschlechtern getrennt und so auch gekennzeichnet. Sollte die Kennzeichnung im Einzelfall entfernt bzw. beschädigt worden sein, wird diese seitens der Unterkunftsverwaltung zeitnah ersetzt.“

Eine Toilette für je zehn Bewohner, so ist es in den Leitlinien formuliert. In Neuburg gibt es pro Gang teilweise nur einen Waschraum mit zwei Toiletten. Auf einer solchen Etage wohnen allerdings deutlich mehr als zwanzig Asylbewerber. Insgesamt, so rechnet die Regierung vor, werden die Richtlinien eingehalten: In der GU gebe es 59 Toiletten bei einer maximalen Belegung von 480 Betten. Die Regierung teilte überdies mit, dass in Neuburg voraussichtlich im April ein weiteres Gebäude mit ungefähr 50 neuen Plätzen für Flüchtlinge eröffnet wird.

Von Philipp Zimmermann

Neuburg: Standards zur Unterbringung von Flüchtlingen gelten nur für neugebaute Unterkünfte – Junge Familie in GU Neuburg leidet – Lesen Sie auf:
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